Unpolitische Beobachtungen

Im September verlasse ich nach 4 Jahren SOWI Studium diese Universität. Ich habe sie in Vorlesungen und Seminaren bei toleranten und sachlich orientierten Dozenten als einen Ort gelebter Kontroversität erfahren. Der vielbeschworene Grundsatz einer, ausschließlich den Regeln des wissenschaftlichen Diskurses unterworfenen, akademischen Freiheit, wurde von den Inhabern der zahlreichen Lehrstühle der Fakultät für Staats- und Sozialwissenschaften und deren Mitarbeitern zum Leben erweckt. Ich danke Ihnen dafür.

Es muss daher umso irritierender sein, dass die jüngsten Reaktionen der akademischen Leitung dieser Universität auf die Gestaltung der Zeitung des studentischen Konvents „CAMPUS“, dieser toleranten und sachlichen Grundstimmung gänzlich zu entsagen scheinen – und zwar gerade in dem Augenblick, in dem diese Tugenden die Gelegenheit gehabt hätten, ihre Vorzüge zu demonstrieren.

Es wurde an anderer Stelle darauf aufmerksam gemacht: Meinung und Gegenmeinung sind die Motivatoren jener Form politischer Verfasstheit, die wir als Soldaten geschworen haben zu verteidigen: Das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes. Demokratie lebt von diesem WiderSPRUCH. Ihn auszuhandeln und auszuhalten ist die Bedingung der Möglichkeit jenes „zwanglosen Zwangs des besseren Arguments.“ Demokratie meint Verfahren.

Es ist dieses Verfahren, das im Zusammenhang mit den jüngsten Ereignissen seinen vorgesehenen Platz nicht gefunden zu haben scheint: Rede ohne Gegenrede. Soldaten sind dies gewohnt. Das ist gut so. Daneben steht jedoch der Selbstanspruch einer Universität, die ganz bewusst NICHT Militärakademie sein will. Es sind Situationen wie diese, die immer die Nagelprobe eines solchen Anspruches darstellen werden. Hier wurde er verfehlt. Er ging verloren in den assoziativen Ballungsräumen, die sich zwischen zwei Anführungszeichen verstecken können. Er musste kapitulieren vor einem Vokabular der Bedenklichkeit. Die Lösung wären das persönliche Gespräch und die öffentliche, sachlich-argumentative Auseinandersetzung auf Augenhöhe vor dem gleichen Publikum und mit offenem Ausgang gewesen. Die Verteidigung der Grundwerte der FDGO, sofern diese hier in Gefahr waren, hätte die Form des Dialogs, nicht die des Monologs gehabt.

Dies ist nicht geschehen. Stattdessen beanspruchte jene Macht den Platz der Diskurshoheit, die sich aus einem sozialen Organisationskontext zwangsläufig immer ergeben wird. Vom „stahlharten Gehäuse der Hörigkeit“ und den „Dispositiven der Macht“ hatte ich als SOWI Student wohl gehört. Sie in der Subtilität ihres Zwanges wirklich zu erleben, war ein Augenöffner.

Dies sind unpolitische Aussagen, in dem Sinne, als dass Sie keiner der betreffenden inhaltlichen Positionen das Wort reden. Tatsächlich bin ich eher Kritiker denn Befürworter der Thesen der Neuen Rechten, die in der Homogenität, die diese Bezeichnung nahelegt, auch nicht zu existieren scheint.

Politisch sind jedoch die Ursachen des ganzen Vorgangs. Ein politisches Ereignis muss daher auch das Lesen einer Analyse der Gründe dieser Vorgänge sein, denn dies schafft, sofern noch nicht geschehen, ein Bewusstsein für die politisierte Lage, in der sich JEDER Soldat dieser Universität, ja jeder deutsche Soldat überhaupt befindet:

Für mein Empfinden, und das erklärt auch die nach Tagen noch nicht verflogene Empörung mit der ich diese Zeilen verfasse, liegt hier mehr vor, als das Verfehlen eines Selbstanspruches. Ich als Soldat, habe die Zeilen der Frau Präsidentin als moralische Belehrung verstanden. Dabei gilt sich vor Augen zu führen, wer einer solchen Belehrung bedarf: Es geht um jene, denen die Kompetenz zur politisch-moralischen Urteilsfindung selbst nicht zugesprochen wird. Der Grund dafür kann nur eins sein: Die Wahl eines von den deutschen ungeliebten Berufes: Soldat sein. Wer sich freiwillig und ohne Not der Möglichkeit einer Situation aussetzt, in der die Durchsetzung politischer Ziele mit militärischer Gewalt das Leben von Menschen gefährden kann, kann politisch-moralisch nicht integer sein – der muss bevormundet werden. Die Rede von den Streitkräften in und aus der Mitte der Gesellschaft ist deshalb Selbstbetrug, denn in Wahrheit ist der Soldatenberuf moralisch diskreditiert. In Situationen, in denen wir Soldaten als moralische Entscheidungsträger auftreten, lässt man uns dies spüren: Ihr gehört nicht zu uns.

Diese Differenz muss an einem Ort wie einer Universität der Bundeswehr, an dem Eliten der Zivilgesellschaft auf diese ihre Soldaten treffen, von denen sie wünschten, sie existierten nicht, besonders spürbar sein. Sie tritt zu Tage in den Momenten, in denen die moralische Diskurshoheit festgelegt wird. Wir haben einen solchen Moment erlebt. Es ist wichtig, sich dies zu vergegenwärtigen, denn es handelt sich dabei um eine politisch defizitäre Lage die nur mit einem entsprechenden Bewusstsein dafür verändert werden kann.

In der breiten Öffentlichkeit kann dies durch eine unverkrampftere Kommunikation der hohen Relevanz sicherheitspolitischer Handlungsfähigkeit, jenseits selbstgerechter Elfenbeinturmfantasien gelingen. An einem Ort wie der Universität der Bundeswehr München sollte dafür schon das offene Gespräch reichen. Vielleicht wird der Weg dahin ja noch gefunden!

Liebesgrüße aus Tripolis – Die Geisterfahrt der deutschen Regierung in der Libyenfrage

Die Ereignisse in Nordafrika sind zum Prüfstein für die europäische Außenpolitik geworden. Ergebnis: Die Europäische Union ist einmal mehr nicht in der Lage, eine gemeinsame außenpolitische Position in einer internationalen Krisensituation zu formulieren und zu vertreten.  Während französische und britische Streitkräfte in Libyen operieren, bleiben die deutschen ECR (Electronic Combat Reconnaissance) Tornados – Hochwertwaffensysteme im Kampf gegen die strategischen Luftverteidigungskräfte Libyens – am Boden. Gleichzeitig sorgt die Haltung der deutschen Regierung für Irritation bei den europäischen und internationalen Verbündeten. Dafür bekommt Westerwelle Beifall aus Tripolis und befindet sich damit in Gesellschaft Russlands und Chinas. Diese hatten sich bei der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat ebenfalls enthalten. Eine Enthaltung die im Falle Deutschlands nicht nötig gewesen wäre, denn obgleich das Stimmverhalten der Vertreter der BRD im Sicherheitsrat an ministerielle Weisung gebunden ist, entscheidet doch letztlich der Bundestag über die Entsendung von Streitkräften. Die Bedeutung der Libyenkrise für die Außenpolitik der Europäischen Union reicht indes viel weiter. Die Weigerung der deutschen Regierung kommt einer Geisterfahrt im Konzert der Mächte gleich.

Libyen gehört, ähnlich wie die übrigen nordafrikanischen Staaten, zur engeren Interessensphäre der Europäer. Dabei geht es nicht um eine klassische Kolonialmentalität – im Gegenteil. Vom Wohlergehen der Länder südlich des Mittelmeers wird Europa im 21. Jh. ähnlich abhängig sein, wie von der Prosperität der Balkanstaaten. Einerseits geht es um Märkte für europäische Produkte, andererseits um die Gefahr von Flüchtlingsströmen für die europäischen Sozialsysteme. Darüber hinaus spielen Energiesicherheit und die Gefahr der Entwicklung terroristischer Bedrohungen eine, wenn auch untergeordnete Rolle. Nicht zuletzt geht es ebenso um die europäische Glaubwürdigkeit in der arabischen Welt vor dem Hintergrund von AFG, Irak und den Beifallsbekundungen zu den Volkserhebungen in Nordafrika. Daher muss Europa die Bedingungen der Entwicklung dieser Staaten bewusst gestalten. Failed States und Bürgerkriege an der europäischen Peripherie sind in jedem Falle schlecht. Deshalb war die Beteiligung der Europäer über die NATO an der Balkanintervention (im Gegensatz zum AFG Einsatz) ebenso richtig und notwendig wie es jetzt wenigstens ein koordinierter gesamteuropäischer Beitrag im Falle Libyens wäre.

Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Das Verhalten der deutschen Regierung führt zu einer Situation, in der die Europäische Union ihrer eigentlich ganz natürlichen Rolle als Ordnungsmacht im eigenen Vorgarten nicht gerecht werden kann. Doch wer dann? Schon wollen die USA das Kommando an die NATO übertragen, doch auch die ist wegen der Weigerung der Türkei dazu nicht bereit. Kein Wunder, weder Washington noch Ankara haben sonderliches Interesse am Schicksal Libyens. Die NATO ist primär keine Organisation zur militärischen Durchsetzung europäischer Interessen. In der Tat: So eine Organisation existiert nicht und deshalb wird das Kommando über die Operationsführung in Libyen spätestens Ende dieser Woche auf Frankreich oder Großbritannien übergehen müssen.

Europa hat bei der Herstellung einer eigenen integrierten Sicherheitsarchitektur bis auf den heutigen Tag sträflich versagt. Nach der Verfehlung des European Headline Goal 2003,  dessen Erreichung zumindest eine eigene EU-Eingreiftruppe, wenn auch unter Nutzung der NATO Kommandostruktur bedeutet hätte, wurden ab 2004 die sog. EU Battlegroups aufgestellt. Bei diesen handelt es sich allerdings um bloße Infanterieverbände in geringer Stärke die eher im Stile eines Pilotprojekts daher kommen. Diese beklagenswerte Situation ist das Produkt einer inkonsequenten Europäisierung der Sicherheitspolitik. Es geht nicht darum, die nationalen Armeen Europas abzuschaffen, aber wenigstens darum, ein europäisches Kräftedispositiv à la NRF zur Verfügung zu halten und eine eigene Kommando- und Führungsstruktur zu schaffen.

Vor diesen Maßnahmen muss jedoch eine Grundsatzentscheidung über die außenpolitischen Ziele der Europäischen Union erfolgen. Diese erfordert wiederum ein Bewusstsein für die gegenseitige Abhängigkeit der europäischen Staaten und die Anerkennung eines daraus resultierenden Bedürfnisses nach kollektiver europäischer Sicherheit. Die NATO allein ist hierzu nach dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr länger das richtige Werkzeug, da mit der Systemgrenze auch die sicherheitspolitische Relevanz Europas für die USA nahezu verschwunden ist und Washington den Verteidigungshaushalt nach dem absoluten Overstretch in den Jahren nach 9/11 und unter dem Eindruck der Finanz- und Wirtschaftskrise wird verkleinern müssen.

Mit der Forderung nach europäischen Streitkräften und einer echten europäischen Sicherheitspolitik ist zugleich die Maximalforderung europäischer Souveränität formuliert. Diese liegt allerdings in weiter Ferne. Die Haltung der deutschen Regierung in der Libyenfrage beweist dies nicht nur, sondern fördert das Problem noch weiter.

Im Elfenbeinturm

Die Präsidentin der Universität der Bundeswehr München äußert sich bei ZEIT ONLINE zur Situation der Studenten zwischen Hörsaal, Strukturreform und AFG Einsatz. Dabei zeigt sich, dass in Deutschland bis in die Kreise der universitären Intelligenzeliten noch immer kein Verständnis für die reale Situation in einem Kampfgebiet besteht. Hier gehts zum InterviewZentral für das hier kommunizierte Bild des Offiziers erscheint folgende Aussage von Frau Prof. Dr. Merith Niehuss:

Ein Offizier der Bundeswehr ist bei uns eben nicht jemand, der an der Front kämpft und ein bisschen grob gestrickt ist.

Warum sollte Frau Niehuss sich ein Urteil darüber erlauben dürfen, was Offiziere im Einsatz faktisch tun? Und warum zeichnet sie ein negatives Bild einer zentralen soldatischen Tugend? Was Frau Niehuss als „grob gestrickt“ sein diffamiert, ist in der Realität nichts anderes als die mentale Befähigung zum Kampf, die Befähigung zum elementaren Auftrag jedes Soldaten. Den beiden Leutnanten kann an dieser Stelle wohl kaum ein Vorwurf gemacht werden, da diese im Interview ihren Pflichten gem. Soldatengesetz nachkommen. Dagegen erscheinen die übrigen Kommentare wie aus dem Elfenbeinturm des politisch Korrekten und als Relikt der alten Bundeswehr. Die Bundeswehr braucht ein neues Ethos des Kämpfens, denn der Kampf selbst ist längst zur Realität geworden und es wäre gerade die Aufgabe einer Präsidentin einer Universität der Bundeswehr, dieses Ethos zu kommunizieren. Die sicherheitspolitische Kultur der Bundesrepublik steckt in einer Krise deren Ausmaß der Differenz der Lebenswelten von AFG und Deutschland entspricht. Kämpfen hier – urteilen über den Kampf dort. Es steht zu befürchten, dass die Differenz des Erfahrungshorizontes dieser Welten für die deutsche Öffentlichkeit unüberwindbar bleibt.